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Warum Linux nicht das neue Windows ist und es auch nicht sein muss

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GWX 🇬🇧, ungepatchte Sicherheitslücken und Hardwarehungrigkeit – das sind nur wenige Dinge, mit denen Microsoft seine Kunden gegen sich aufbringt. Doch trotzdem bleiben die Nutzer dem Unternehmen aus Redmond treu. Aber warum?

Hinweis:

Dieser Artikel gehört der Kategorie Kwami an. Er spiegelt damit allein die Meinung des Autors und nicht zwingend die des ubuntuusers.de-Teams wider.

Als Leser dieses Artikels gehören Sie – bewusst oder unbewusst – zu einer Minderheit. Laut aktuellen Zahlen, kommt Linux auf eine Verbreitung von etwa 2,33% weltweit (Server und Mobilgeräte ausgeschlossen). Mit mobilen Systemen stehen die Betriebssysteme mit dem Pinguin mit 1,3% sogar noch deutlich schlechter da.

Zugegeben, seit 2009 hat sich die Zahl der Linux-Nutzer fast verdreifacht. Verglichen mit Windows oder OS X ist die Verbreitung allerdings weiterhin minimal.

Warum kommt Linux für den Durchschnittsnutzer nicht in Frage, und wer ist das überhaupt?

Im Jahr 2015 besaßen laut dem Statistischen Bundesamt etwa 88% der deutschen Haushalte einen Computer. Mit diesen Zahlen im Hinterkopf können wir den durchschnittlichen Deutschen also auch als durchschnittlichen PC-Nutzer behandeln.

Wie es um die durchschnittliche Kompetenz in Bezug auf Computer steht, ist allerdings schwerer zu erfassen. Aus meiner Erfahrung als studentischer Berater an einer Hochschule kann ich allerdings sagen, dass Einstellungen an Computern für viele Personen abschreckend sind. Schon das Einrichten eines WPA2-Enterprise WLANs anhand einer geschriebenen Anleitung ist für einige Personen sehr kompliziert und wird aus Angst „etwas falsch zu machen“ auch gar nicht erst versucht.

Natürlich ist dieser Eindruck, den ich dort gewonnen habe, nicht repräsentativ für die PC-Kompetenz aller Deutschen. Zudem habe ich es vor allem mit Leuten zu tun, die eben nicht mit der Technik zurechtkommen. Allerdings ist die Art der Fragen und Probleme doch oft sehr ähnlich. Viele Nutzerinnen und Nutzer haben „Angst davor an ihrem Laptop etwas einzustellen oder zu installieren“, da sie befürchten etwas falsch zu machen oder sich unsicher sind. Gerade diese Personen fühlen sich oft überfordert vom Umgang mit ihrem Computer, sobald etwas von ihrer Standard-Tätigkeit an den Geräten abweicht. Vor allem für diese Nutzergruppen würde ein Rechner mit einem Linux OS niemals in Frage kommen – und das aus mehreren Gründen.

Zum einen gibt es kaum Laptops mit vorinstalliertem Ubuntu, OpenSuse, … im Handel zu kaufen. Zumindest nicht, wenn man im Elektronik„Fach“Handel auf die Suche nach einem Neugerät geht. Zum anderen assoziieren viele potenzielle Nutzer Linux mit einem System, das primär von Nerds, Hackern und Aluhüten verwendet wird. Diese Annahme trifft mittlerweile allerdings nur noch teilweise zu, denn auch wenn Linux Neueinsteigern bei der Benutzung immer noch einige Steine in den Weg legt, hat sich die Nutzungserfahrung in den letzten Jahren deutlich verbessert.

Anforderungen an System und Nutzer

Unterschiedliche Nutzer haben natürlich auch unterschiedliche Anforderungen an das System mit dem sie arbeiten. Genau dafür scheinen die unterschiedlichen Linux-Distributionen auch gemacht zu sein. Wikipedia zählt aktuell etwas über 250 Linux-Distributionen, von denen einige allerdings veraltet sind, oder sehr spezielle Anwendungsgebiete haben.

Das unter Endanwendern am weitesten verbreitete Linux wird in dieser Liste allerdings gar nicht erst aufgeführt. Android wird mittlerweile täglich auf mehr als einer Million Geräten aktiviert 🇬🇧. Allein 2014 wurde Android auf mehr als einer Milliarden! Geräten aktiviert. Tendenz steigend.

Die Qual der Wahl

Wer sich ein Neugerät zulegt oder einfach einmal einen Tapetenwechsel auf dem Bildschirm möchte, für den bietet Linux unzählige Distributionen und Benutzeroberflächen, hinter denen zwar immer der selbe Kern steckt, die bei der Bedienung allerdings fast alle unterschiedliche Wege gehen. Für den versierten Linux-Nutzer klingt das zwar traumhaft, für Neueinsteiger ist die große Auswahl allerdings ein ziemlicher Albtraum. Zum einen muss man sich bei der Auswahl des Betriebssystems erst einmal auf eine Distribution festlegen. Zum anderen sind Anleitungen, die man im Internet findet nicht immer anwendbar, da die selben Einstellungen nicht immer am gleichen Platz zu finden sind. Hier würde ein einheitliches Bedienkonzept vielen Einsteigern einige Probleme ersparen. Für fortgeschrittene Benutzer wäre dies allerdings wieder eine Einschränkung, denn die umfangreichen Konfigurationsmöglichkeiten waren schon immer eine Stärke der Linux-Systeme. Doch so wie hier, stehen einfache Bedienbarkeit und ein hohes Maß an Konfigurierbarkeit oft in einem Konflikt zueinander, in dem es mehrere und schwer vereinbare Standpunkte gibt.

Was macht Android anders?

Der aufmerksame Leser wird jetzt natürlich passend feststellen, dass Android keine richtige Linux-Distribution ist. Doch selbst wenn man das erfolgreichste mobile Betriebssystem einmal als einzelnes System betrachtet, erkennt man, woher der Erfolg kommt und was einem Deskop-Linux dazu fehlt.

Die Gemeinsamkeiten sind schnell an einer Hand abgezählt. Unter der Haube beider Systeme schlummert ein Linux-Kernel. Das Betriebssystem ist für alle Nutzer kostenlos und das Maskottchen macht sich gut als T-Shirt-Motiv. Womit wir nun bei den Unterschieden wären. Das Bedienungskonzept von Android ist idiotensicher gestaltet und das ist hier nicht negativ gemeint. Denn die Bedienung eines Smartphones ist selbst für Anfänger recht schnell ersichtlich und lässt kaum Bedienfehler zu. Bei den Anwendern konnte sich Android auch deshalb durchsetzen, weil die Benutzung und Installation von Apps so einfach ist und immer demselben Muster folgt. Für die Gestaltung der Apps bietet Google den App-Entwicklern einen Leitfaden 🇬🇧 an, nach dem alle Apps ähnlich aussehen. Dafür weiß der Benutzer aber auch intuitiv wie sich die App benutzen lässt. Ein großer Vorteil für Nutzer, die durch verwirrende Bedienung schnell frustriert sind. Auch der Play Store trägt zum Erfolg des mobilen Betriebssystem bei. Denn ob Pokémon GO, Tinder oder WhatsApp – alles was man sucht, findet man am selben Ort. Mit Android Instant Apps 🇬🇧 geht Google in Zukunft sogar noch einen Schritt weiter, denn um eine App zu nutzen, muss man sie nicht einmal mehr installieren.

Doch einen „App Store“ hat Ubuntu auch, der eigentlich die wichtigsten Programme enthält, die man für das tägliche Arbeiten braucht. Daran kann es also nicht nur liegen, auch wenn dem Ubuntu Software Center im Vergleich zum Play Store wohl eher eine untergeordnete Rolle zuzuweisen ist. Denn die meisten Anwender installieren ihre Anwendungen über die Konsole. Dort beginnen für Einsteiger die Probleme. Spätestens wenn für die Installation dann eine .deb, eine .tar.gz und eine .rpm Datei bereitstehen, werden viele potenzielle Nutzer wohl das Handtuch werfen. Klar, es gibt dazu Anleitungen, aber ganz ehrlich, würde Ihre Mutter selbst danach suchen, oder die Installation bis zum nächsten Besuch verschieben? Mit Snap bahnt sich dazu zwar eine potenzielle Lösung an, doch auch hier kocht wieder jeder sein eigenes Süppchen. So entsteht neben Snap auch noch die Alternative Flatpack. Die Auswahl von mehreren Paketformaten ist für den fortgeschrittenen Nutzer natürlich kein Problem. Doch für Entwickler heißt das erneut, dass sie nicht nur ein Paket bereitstellen müssen. Für unerfahrene Nutzer verbessert sich die Situation im Vergleich zu jetzt kaum.

Was macht Windows anders?

Tja, was Windows anders macht? Eigentlich so gut wie alles. Einer der meist genannten Unterschiede von Seiten der Linux-Community ist, dass Linux im Vergleich zu Windows kostenlos (und frei) ist und alleine deswegen schon besser sein müsse. Doch für den, wir sprechen hier immer noch vom Durchschnittsanwender, der seinen Laptop im Elektroladen gekauft hat und wenn er nicht mehr geht eben einen neuen kauft, spielen die Kosten für eine Windows-Lizenz kaum eine Rolle. Die Lizenzkosten sind im Preis des Gerätes enthalten und werden auch nicht gesondert ausgewiesen. Da dies bei nahezu allen Geräten der Fall ist, fällt eben auch nicht weiter auf, wie viel günstiger das Gerät ohne Betriebssystem wäre. Zu den Kosten der OEM-Lizenzen äußert sich Microsoft selbst nicht, allerdings lassen geleakte Preislisten 🇬🇧 für Windows 8.1 für Tablets erahnen, dass es sich dabei um Kosten im geringen zweistelligen Bereich handeln wird. Das klingt zwar nicht nach besonders viel, wer allerdings mehrere Geräte mit Windows im Haushalt hat, für den kommt über die Zeit doch ein stattliches Sümmchen zu Stande. Solange im Mediamarkt, Saturn und auf der ersten Seite bei Amazon keine Geräte mit einer Linux-Distribution zu finden sind, werden die meisten deutschen Arbeitsplätze dem System wohl versperrt bleiben.

Doch wer einmal die Dienste von Microsoft nutzt, der wird sie immer nutzen, dass zumindest scheint die Strategie des IT-Unternehmens zu sein. Für Schulen und Universitäten gibt es eigene Volumenverträge, mit denen sich Microsoft schon von Beginn an als alternativlos präsentiert. Auch die Nutzung von Microsofts eigenen Programmen wird stark begünstigt, da Microsoft Office und Co. oft schon auf Geräten vorinstalliert ist und mit einer kostenlosen Testphase beginnt.

Wer in Schule oder Uni bereits mit Produkten von Microsoft arbeitet, der soll aus Unternehmenssicht natürlich im eigenen Ökosystem gehalten werden. Für gerade einmal 4€ im Jahr (5€ außerhalb von Baden-Württemberg) wird Microsoft Office Studenten im Vergleich zum Originalpreis quasi hinterher geworfen, um sie langfristig an die Nutzung des Programms zu binden. Einige Universitäten bieten sogar Kurse zur Nutzung von Microsoft Office an, was Nutzer erneut an die Plattform bindet.

Damit kommen wir wieder zu etwas, was schon ganz zu Beginn aufgefallen ist. Für viele Nutzer ist der Umgang mit dem Computer immer noch etwas Befremdliches, bei dem man nur ungern bekannte Pfade verlässt. Für diese Leute ist es wichtig selbst zu erfahren, dass ein Computer kein Hexenwerk ist und das fast alles seinen logischen Regeln folgt. Solange Benutzer Angst vor dem PC haben, werden sie auch kaum mit etwas anderem oder für sie neuen wie Linux experimentieren.

Wie auch bei Android läuft die Programminstallation grundlegend anders ab, als es bei Linux-Distributionen der Fall ist. .exe oder .msi sind mit einem Mausklick installiert und laufen unter fast jedem System gleich ab. Das birgt zwar gewisse Sicherheitsrisiken, für den unbedarften Anwender ist es allerdings deutlich komfortabler.

Wie sieht es mit Spielen aus?

Von einem reinen Nischen-Zeitvertreib haben sich Spiele mittlerweile zu einem der wichtigsten Medien überhaupt entwickelt. Mit einem Umsatz von über 4 Milliarden Dollar alleine in Deutschland, sind Computerspiele schon lange im Mainstream angekommen. Auch wenn Valve einigen Aufwand unternimmt, um Spiele auch für Linux kompatibel zu machen, sind ein Großteil der bedeutsamen Spiele nur unter Windows spielbar. Viel größer stört allerdings, dass es bis heute keinen für Spiele tauglichen Grafiktreiber für AMD-Karten unter Ubuntu 16.04 gibt.

Wo liegt denn das Problem, und gibt es überhaupt eines?

Ich persönlich denke, dass sich über kurz oder lang, doch das bessere Betriebssystem durchsetzten wird. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Klar, den Linux-Distributionen fehlt noch das ein oder andere Feature, um wirklich für die breite Masse der PC-Benutzer in Frage zu kommen, doch auch bei vielen potenziellen Benutzern fehlt noch einiges.

Um potenziellen Benutzern die Berührungsängste zu nehmen, müssen sie selbst Erfahrungen sammeln. Das ist auch für uns „Ubuntuuser“ eine Aufgabe. Wenn man das nächste mal aus dem Bekanntenkreis oder bei der Arbeit gefragt wird, etwas zu reparieren oder einzurichten, dann kann man die Person einfach einmal anleiten, das selbst zu tun und die Erfahrungen zu sammeln. Denn mit etwas Übung ist man als Nutzer auch eher dazu geneigt etwas Neues auszuprobieren.